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Zeitmessung bei Rotlichtverstoß 
19.07.2018

Die entscheidende Sekunde: Kammergericht zum qualifizierten Rotlichtverstoß

ESV-Redaktion Recht
KG in Berlin stellt hohe Anfoderungen an die Messgenauigkeit (Foto: Fotoschlick/Fotolia.com)
Überquert ein Fahrer die Haltelinie einer roten Ampel nach einer Sekunde, muss er mit einem Fahrverbot rechnen. Allerdings gelten für die Zeitmessung strenge Anforderungen. Mit Toleranzabzügen und Messfehlern hat sich das Kammergericht (KG) in Berlin ausführlich befasst.


In dem Streitfall hatte die Ausgangsinstanz – das Amtsgericht (AG) Tiergarten – den betroffenen Fahrer wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt. Zudem verhängte das AG ein einmonatiges Fahrverbot gegen den Fahrer.

Nach den Feststellungen des Gerichts überfuhr der Fahrer die Haltlinie einer Ampel, als diese schon 1,5 Sekunden auf Rot stand. Damit hätte der Fahrer einen qualifizierten Rotlichtverstoß begangen. Das Gericht nahm an, dass die beiden Polizeibeamten den Verstoß anlässlich einer gezielten Rotlichtüberwachung mit einer geeichten Stoppuhr zuverlässig festgestellt hätten. Gegen das Urteil der Ausgangsinstanz legte der Fahrer Rechtsbeschwerde zum Kammergericht (KG) in Berlin ein.

KG: Lückenhafte Beweiswürdigung der Ausgangsinstanz  

Die Beschwerdeinstanz – der 3. Strafsenat des KG – hat die Entscheidung der Ausgangsinstanz aufgehoben und dorthin zurückverwiesen. Der Senat ging von einer lückenhaften Beweiswürdigung der Vorinstanz aus.

Danach hat das AG nicht mitgeteilt, ob es zur Beseitigung etwaiger Fehlerquellen den Toleranzabschlag vorgenommen, der bei der Zeitmessung von Hand geboten ist. Nach dem Richterspruch des Senats ist zwar anerkannt, dass Toleranzwerte nicht mitgeteilt werden müssen, wenn die Rotlichtzeit auch nach Abzug des günstigsten Toleranzwertes mindestens eine Sekunde gedauert hat. Ein solcher Fall liege aber nicht vor, so der Senat weiter. Insoweit brachte dieser vor allem zwei Aspekte ins Spiel:

  • Reaktionszeitverzögerung: Allein die Reaktionszeitverzögerung würde bei einer Zeitmessung mit Stoppuhr nach gefestigter Rechtsprechung schon 0,3 Sekunden betragen.  
  • Gangungenauigkeit der Stoppuhr: Zudem, so der Senat weiter, sei eine etwaige Gangungenauigkeit – die sogenannte Verkehrsfehlergrenze – auszugleichen. Dieser Ausgleich bestimme sich nach § 22 Absatz 2 Satz 2 MessEV in Verbindung mit § 46 Absatz 1 Nr 3 MessEG und der Nr. 12.10 der „Regeln und Erkenntnisse des Regelermittlungsausschusses“ (Stand 27.10.2016), sowie in Verbindung mit  § 33 Absatz  4 der Eichordnung in der 31.12.2014 geltenden Fassung mit der zugehörigen Anlage 19 („Zeitzähler – Stoppuhren“).
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Gangungenauigkeit

Nach der Anlage 19 zu § 33 Absatz 4 Satz 1 EichO ist die Eichfehlergrenze gleich dem kleinsten Skaleneinteilungswert oder Ziffernschritt, addiert um 0,5 Promille der gemessenen Zeit.

Kleinster Skalenwert der Stoppuhr

Das AG, so das OLG weiter, hätte also den kleinsten Skalenwert oder den kleinsten Ziffernschritt der verwendeten Stoppuhr ermitteln müssen. Im Weiteren stützte der Senat seine Entscheidung auf folgende weitere Gedankenspiele:

  • Skalenwert 0,01 Sekunden: Wäre der benannte Ziffernschritt eingeteilt in 0,01 Sekunden, würde sich die Fehlergrenze bei der gemessenen Zeit von 1,5 Sekunden auf genau 0,01075 Sekunden belaufen. Nach den genannten Regeln bemisst sich die Verkehrsfehlergrenze nach dem Doppelten der Eichfehlergrenze – also nach dem kleinsten Skalenwert/Ziffernschritt zuzüglich 0,5 Promille der gemessenen Zeit. Bei einem beispielhaft gedachten Ziffernschritt von 0,01 wären dies 0,0215 Sekunden.
  • Skalenwert 0,1 Sekunden: Würde sich der kleinste Skalenwert allerdings auf 0,1 belaufen, so würde sich eine Fehlergrenze 0,2015 Sekunden errechnen. Bildet man hieraus die Summe mit dem Wert für die mögliche Reaktionsverzögerung von 0,3 Sekunden, beliefe sich die Fehlergrenze auf insgesamt 0,5015 Sekunden.
Skalenwert von 0,1 zwar nicht wahrscheinlich aber denkbar

Zwar sei bei einer geeichten Stoppuhr ein Skalenwert von 0,1 nicht wahrscheinlich, aber auch nicht auch nicht auszuschließen so das KG weiter. Dann aber läge kein „qualifizierter“ Rotlichtverstoß mehr vor.

Dieser setzt voraus, dass der betreffene Fahrer die Halteline mindestens eine volle Sekunde nach Eintritt der Rotphase überschritten hat. Zieht man von der gemessenen Zeit – also von 1,5 Sekunden – den Wert der Fehlergrenze – also 0,5015 Sekunden – ab, hätte die Rotphase beim Überqueren der Halteliner erst 0,9985 Sekunden betragen. 

Was das Amtsgericht nun prüfen muss

In der neuen Hauptverhandlung muss dem KG zufolge neben dem kleinsten Uhrenskalenwert oder Ziffernschritt auch ermittelt werden, ob und gegebenenfalls wie die Polizeibeamten gerundet haben. Zumindest bei kleinen Ziffernschritten legt der glatte Wert von 1,5 Sekunden nahe, dass auf- oder abgerundet wurde. Auch etwaige Rundungsfehler sind bei der Berechnung der Rotlichtzeit zu berücksichtigen.

Quelle: Beschluss des KG Berlin vom 28.03.2018  AZ: 3 Ws (B) 91/18

Die vollständigen Entscheidungsgründe
Lesen Sie demnächst die vollständigen Begründung KG in vrsdigital.de oder in VRS Band auf Seite 141 in Band 133/17


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(ESV/bp)