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Verkehrsrecht 
09.07.2019

OLG Nürnberg zur Bedienung von Infotainmentsystemen bei Tempo 200

ESV-Redaktion Recht
OLG Nürnberg: Fahrer darf sich keinesfalls durch Infotainmentsysteme vom Verkehr ablenken lassen (Foto: Artemiy/Fotolia.com)
Sogenannte Infotainmentsysteme können Autofahrern nützliche Helfer sein. Dennoch – die Konzentration auf den Verkehr hat absoluten Vorrang. Dies gilt um so mehr, je schneller der Fahrer unterwegs ist, wie eine Entscheidung des OLG Nürnberg zeigt.

In dem Streitfall machte eine Autovermieterin gegen Beklagten zu 1) Schadenersatz geltend. Dieser war im April 2015 als Fahrer – aber nicht als Mieter – mit dem Mietwagen vom Typ Mercedes Benz CLS 63 AMG auf einer Autobahn unterwegs. Dabei beschädigte er das Fahrzeug, das der  Beklagte zu 2) gemietet hatte. Bei dem Unfall fuhr der Beklagte zu 1) mit dem gemieteten Sport-Coupé auf der linken Spur einer Autobahn. Hierbei bediente er auch das Infotainmentsystem des Fahrzeugs und stieß gegen die Mittelleitplanke. Bei dem Aufprall wurde das Coupé stark beschädigt.

Selbstbeiligung des Mieters bei einfacher Fahrlässigkeit vertraglich ausgeschlossen

Der Mietvertrag sah im Falle einer Beschädigung zwar keine Selbstbeteiligung des Mieters vor. Nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Klägerin sollte dieser aber ein Regressanspruch von 50 Prozent des Fahrzeugwerts zustehen, wenn an dem Fahrzeug grob fahrlässig ein Schaden verursacht worden ist.

Klägerin: Fahrer hat grob fahrlässig gehandelt

Die Klägerin behauptete, der Fahrer – Beklagter zu 1) – wäre zum Zeitpunkt des Unfalls mit Tempo 200 unterwegs gewesen. Sie sah in dem Verhalten des Fahrers eine grobe Fahrlässigkeit. Entsprechend ihrer AGB verlangte sie von diesem die Hälfte des entstandenen Schadens als Regress.

Fahrer will nur 130 km/h gefahren sein

Dem widersetzte sich der Beklagte zu 2) mit der Begründung, er sei lediglich 130 km/h gefahren. Zudem habe er dem Infotaintmentsystem nur ganz kurz seine Aufmerksamkeit gewidmet. Darüber hinaus berief er sich auf den Ausschluss der Selbstbeteiligung im Mietvertrag. Die Ausgangsinstanz hatte die Klage abgewiesen. 

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OLG Nürnberg: Ablenkung des Fahrers dauerte mehrere Sekunden

Das OLG Nürnberg folgte der Entscheidung der Vorinstanz nicht. Dem OLG zufolge muss der Fahrer eines Kraftfahrzeugs seine Konzentration stets angemessen auf das Verkehrsgeschehen richten. Dies tat der Beklagte zu 1) jedoch nicht. Die weiteren wesentlichen Überlegungen des Gerichts:
  • Je schneller, desto größer die Konzentration: Der benannte Grundsatz gilt umso mehr, je höher die Geschwindigkeit des Fahrzeugs ist. Hinsichtlich der Geschwindigkeit gingen die Nürnberger Richter nach einer Beweisaufnahme davon aus, dass der Beklagte mit dem Sportwagen zur Zeit des Unfalls etwa 200 km/h fuhr. Dies entspricht etwa 55 Meter pro Sekunde. 
  • Kurze Ablenkung kann schon grob fahrlässig sein: Somit konnte schon eine kurze Ablenkung durch Bedienung des Infotainmentsystems den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit begründen, so das OLG.
  • Ablenkung dauerte mehrere Sekunden: Insoweit waren die Richter davon überzeugt, dass die Ablenkung mehrere Sekunden gedauert hatte.
  • Bedienung des Systems sehr komplex: Der Beklagte zu 1) musste seinen Angaben zufolge über einen Drehregler in der Mittelkonsole eine Leiste auf dem Bildschirm ansteuern. Bei dieser Leiste ließen sich verschiedene Register öffnen. Über diese konnten dann weitere Unterpunkte angewählt werden. Mit der rechten Hand habe er das System bedient und der mit der linken Hand das Lenkrad gehalten, so der beklagte Fahrer. Aufgrund der Komplexität des Systems könne dies – entgegen der weiteren Einlassung des Fahrers – nicht nur einen ganz kurzen Augenblick gedauert haben, sondern musste mehrere Sekunden dauern, so das OLG.
Zu lange für die OLG-Richter, die das Verhalten des Beklagten als grob fahrlässig werteten. Dies hatte zumindest den teilweisen Verlust der vertraglichen Haftungsfreistellung zur Folge, die den zulässigen Bedingungen einer Kaskoversicherung nachgebildet war.

Lesen Sie in den Entscheidungsgründen veröffentlicht in der Ausgabe VRS 135/06:  
  • warum die Klägerin aktivlegitimiert war,
  • warum die im Mietvertrag getroffene Regelung dem Leitbild der Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB) entspricht,
  • warum neben dem Mieter grundsätzlich auch der Fahrer hätte darauf vertrauen dürfen, dass er in den vertraglich vereinbarten Schutz einbezogen wäre,
  • und warum auch der Spurassistent des Coupés den Schuldvorwurf an den Fahrer nicht abmildern konnte.
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Quelle: Urteil des OLG Nürnberg vom 02.05. 2019 – AZ: 13 U 1296/17

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(ESV/bp)