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Haftungsverzicht durch Fahren in Motorradgruppe? 
19.08.2021

OLG Düsseldorf: Fahrten von Motorradfahrern im Pulk begründen keinen stillschweigenden Haftungsverzicht

ESV-Redaktion Recht
Biker innerhalb von Pulks können nicht darauf vertrauen, dass Ihre Haftung für Schäden anderer Fahrer in der Gruppe ausgeschlossen ist (Foto: poco_bw / stock.adobe.com)
Viele Biker verbinden den Spaß am Motorradfahren mit einem gemeinschaftlichen Erlebnis und schließen sich gern mit anderen Fahrern in Pulks zusammen. Doch schließen die beteiligten Fahrer hierdurch stillschweigend ihre Haftung gegenüber anderen Bikern der fahrenden Gruppe aus? Hierüber musste das OLG Düsseldorf kürzlich entscheiden. 


Gruppenspaß jäh beendet: Unfall in Motorradfahrgruppe

In dem Streitfall stießen zwei Motorradfahrer zusammen, wobei die Beklagte auf das Motorrad des Klägers auffuhr. Beide nahmen an einer Gruppenausfahrt mit insgesamt sieben Motorrädern teil. Der Pulk fuhr vor dem Unfall in versetzter Formation. Durch den Zusammenstoß hat sich der Kläger erheblich verletzt. Er verlangt von der Beklagten daher Schmerzensgeld und Schadenersatz. Dem tritt die Beklagte entgegen. Die Positionen der streitenden Parteien:

  • Kläger - Alleinige Haftung der Beklagten: Der Kläger ist der Ansicht, dass die Beklagte für die Unfallfolgen alleine haftet. Nach seinem Vortrag fuhr diese mit stark überhöhter Geschwindigkeit auf ihn zu, um die vor ihr fahrenden Biker zu überholen. Dabei wäre sie grob sorgfaltswidrig auf ihn aufgefahren, so der Kläger weiter. Weil es sich um einen typischen Auffahrunfall handele, spreche schon der Beweis des ersten Anscheins für eine volle Haftung der Beklagten. Zudem habe er den Unfall hingegen nicht abwenden können. Der Kläger verlangt unter anderem Schmerzensgeld, den Ersatz des Sachschadens, des Verdienstausfallschadens und des Haushaltführungsschadens.
  • Beklagte - Kläger haftet in vollem Umfang: Demgegenüber meint die Beklagte, dass ausschließlich der Kläger den Unfall verursacht hat. Nach ihrem Vortrag fuhr dieser plötzlich in der Fahrbahnmitte. Nach einer scharfen Bremsung sei er dann nach links ausgeschert. Hierdurch war ihr Fahrtweg versperrt. Zwar habe sie versucht, noch an dem Kläger vorbeizufahren, eine Kollision sei aber unvermeidbar gewesen, so die Beklagte weiter. Sie ist daher der Auffassung, dass der Kläger keinen Schadenersatz verlangen kann.


LG Düsseldorf: Fahren im Pulk begründet stillschweigenden Haftungsverzicht

Das LG Düsseldorf hat die Klage abgewiesen. Nach Ansicht des Gerichts haben letztlich Unruhen und Bremsmanöver in der Gruppe zu dem Unfall geführt. Eine Haftung der teilnehmenden Motorradfahrer sei aber von vornherein ausgeschlossen gewesen, so das Gericht. Es ging davon aus, dass die Teilnehmer der Gruppenfahrt vor der Fahrt stillschweigend vereinbart haben, auf eine Haftung im Falle eines Unfalls zu verzichten. Dafür spreche, dass die Mitfahrenden willentlich nicht hintereinander, sondern seitlich versetzt gefahren sind, ohne den erforderlichen Sicherheitsabstand einzuhalten. Damit, so das LG weiter, hätten sich die Biker bewusst besonderen Gefahren ausgesetzt.

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OLG Düsseldorf: Haftungsteilung 50:50

Dieser Auffassung tritt das OLG Düsseldorf entgegen und gibt der Berufung des Klägers gegen das Urteil der Ausgangsinstanz teilweise statt. Demnach muss die Beklagte – nach den §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG und 3 PflVG – zur Hälfte für den Schaden des Klägers aufkommen. Wegen der genauen Höhe und des Umfangs des Schmerzensgeldes und des Schadens hat das OLG Düsseldorf die Sache erneut an das LG zurückverwiesen. Dem Urteil des OLG Düsseldorf liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

  • Kein stillschweigender Haftungsverzicht bei Motorrad-Pulks: Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist bei einer Motorradgruppenfahrt nicht von einem stillschweigenden Haftungsausschluss auszugehen. Demzufolge kann nach BGH-Rechtsprechung zwar ein konkludenter Haftungsverzicht in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich sein – etwa bei Rennen im Sinne von § 29 StVO. Solche Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor, so die Düsseldorfer Richter weiter.
  • Keine alleinige Haftung der Beklagten: Ein alleiniges Verschulden der Beklagten kann nicht nachgewiesen werden, insbesondere nicht durch den Beweis des ersten Anscheins. Zwar kann bei Auffahrunfällen in gewissen Fällen der erste Anschein dafür sprechen, dass der Auffahrende den Unfall schuldhaft verursacht hat, weil er zum Beispiel dem erforderlichen Abstand nicht eingehalten hat. Ein solcher Anscheinsbeweis ist hier aber schon deshalb ausgeschlossen, weil feststeht, dass der Kläger kurz vor der Kollision auf die linke Fahrseite ausgeschwenkt ist.
  • Auch kein alleiniger Verstoß des Klägers: Auch der Kläger hat nach Ansicht des OLG keinen alleinigen schuldhaften Verkehrsverstoß begangen. Insbesondere hat das Gericht in dem kurzen Ausscheren nach links keinen Spurwechsel nach § 7 Abs. 5 StVO gesehen. Auch ein grundloses starkes Abbremsen des Klägers im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 2 StVO konnte nicht festgestellt werden.
  • Unfall für beide nicht unabwendbar: Der Unfall war für beide Unfallparteien aber nicht unabwendbar, so das Gericht weiter. Denn beide Fahrer hätten sich auf das gefährlichere Fahren in der Formation eingelassen und wären nicht mit sichererem Abstand hintereinander gefahren. Also haften beide für die Folgen des Unfalls.
  • Zur Haftungsquote: Bei der Ermittlung der Haftungsquote hat das Gericht die Verursacherbeiträge der Parteien gegeneinander abgewogen. Zu Lasten der Beklagten hat das Gericht besonders die hohe Geschwindigkeit innerhalb der ohnehin schon gefährlichen Formation berücksichtigt. Zu Lasten des Klägers hat sich das Ausscheren nach links ausgewirkt. Das OLG Düsseldorf kam daher zu dem Ergebnis, dass sich die Betriebsgefahren von beiden beteiligten Motorrädern ähnlichem Umfang realisiert haben. Dadurch ergab sich eine beiderseitige Haftung in Höhe von 50 %.
Mehr zu den Möglichkeiten des stillschweigenden Haftungsverzichts lesen Sie in den Entscheidungsgründen des Urteils des OLG Düsseldorf vom 27.04.2021 – I-1 U 32/19, abgedruckt in VRS Band 140, Heft 4, Seite 168 (Nr. 31)


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