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Anscheinsbeweis bei Verkehrsunfall 
05.11.2018

OLG Düsseldorf zur Sorgfaltspflicht beim Ausfahren aus einem Grundstück

ESV-Redaktion Recht
Nach einem Verkehrsunfall ist guter Rat oft teuer (Foto: Wellnhofer Designs/Fotolia.com)
Muss derjenige, der mit seinem Fahrzeug ein Grundstück verlässt, um auf eine vorrangige Straße zu gelangen, im Falle eines Unfalls, stets beweisen, dass dieser Unfall für ihn unvermeidbar war? Hierzu hat sich das OLG Düsseldorf geäußert.

Die Klägerin macht einen Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch aus einem Verkehrsunfall geltend. Dieser hatte sich in der in der Nähe eines Kindergartens in Solingen ereignet. Erreichbar ist der Kindergarten über eine Zufahrt, die über die Elsa-Brändström-Straße (EB-Straße) führt. In der in der Gegenrichtung führt diese Zufahrt auch zu dem gegenüberliegenden Lager der Beklagten zu 2).

Zum Unfallzeitpunkt wollte die Klägerin mit ihrem Mercedes vom Parkplatz des Kindergartens über die Zufahrt in die EB-Straße einfahren. Um auf diese vorrangige Straße zu kommen, musste sie auch einen etwa 1,4 Meter breiten Gehweg mit einer etwa 6 bis 7 cm hohen Bordsteinkante überfahren. 

Zum gleichen Zeitpunkt näherte sich der Beklagte zu 1) der Klägerin mit deinem VW Transporter. Die Klägerin befand sich auf dem Gehweg. Aus Sicht der Klägerin kam der Transporter von rechts. Als der Beklagte zu 1) seinen VW Transporter vor das Lager seiner Arbeitgeberin setzen wollte, holte er kurz nach links aus. Während des Ausholens fuhr er – auf einem Teil des Gehwegs links von der Fahrbahn – mit der linken vorderen Ecke des Transporters auf die rechte vordere Ecke des Mercedes der Klägerin auf. Die Klägerin, die zum Unfallzeitpunkt hochschwanger war, musste nach dem Unfall zur Beobachtung für zwei Tage in ein Krankenhaus.

Klägerin: Unfall unvermeidbar

Die Klägerin meint, der Unfall wäre für sie unvermeidbar gewesen. Hierzu hatte sie vorgetragen, sie habe zum Unfallzeitpunkt mit den Vorderrädern ihres Mercedes noch auf dem Bürgersteig gestanden. Sie verlangte daher den vollständigen Ausgleich ihres materiellen Schadens in Höhe von 5.884,84 Euro sowie und ein Schmerzensgeld von 3.000 Euro.

Beklagte: Verursachungsbeitrag des Beklagten nur bei 25 Prozent

Demgegenüber waren die Beklagten der Auffassung, der Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 1) durch Befahren des Gehweges sei mit einer Quote von 25 Prozent hinreichend berücksichtigt. Zudem behaupteten sie, dass sich das Fahrzeug der Klägerin bei der Kollision noch bewegte.

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Ausgangsinstanz: Anscheinsbeweis spricht gegen Klägerin

Nach Auffassung der Ausgangsinstanz bleibt unbewiesen, dass der Unfall für die Klägerin unabwendbar war. Die wechselseitigen Verursachungsbeiträge müssten daher gegeneinander abgewogen werden.

So habe die Klägerin gegen § 10 StVO verstoßen. Hierfür spreche schon der Anscheinsbeweis, denn der Unfall habe sich in einem unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Ausfahren ereignet. Diese Pflichtverletzung sah die Ausgangsinstanz schwerer an als den Verstoß des Beklagten zu 1) nach § 2 StVO. Daher müsse Klägerin ¾ ihrer Schäden selbst tragen.

OLG Düsseldorf: Kein Verstoß der Klägerin gegen StVO

Diese Auffassung teilte die Berufungsinstanz – das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf – nicht. Das OLG hat die Beklagten als Gesamtschuldner zum Ersatz des materiellen Schadens von 5.864,84 Euro und sowie zu einer Schmerzensgeldzahlung von 500 Euro verurteilt. Ausgangspunkt für das OLG waren die §§ 7, 17, 18 StVG sowie § 115 VVG.

Die wesentlichen Überlegungen des Gerichts:
  • Pflichtverstoß des Beklagten zu 1): Der Fahrer des VW-Transporters  - Beklagter zu 1) - hatte beim Linksausscheren den Gehweg befahren, auf dem sich die Klägerin mit ihrem Mercedes befand. Hierin sah das OLG einen Verstoß gegen § 2 Absatz 1 StVO, weil Fahrzeuge grundsätzlich die Fahrbahn benutzen müssen. Dieser Verstoß, so das OLG weiter, sei auch ursächlich für den Unfall.
  • Kollision auf dem Gehweg: Seine Annahme, dass der Unfall auf dem Gehweg passierte, folgerte das Gericht aus den Angaben des Beklagten zu 1). Im Rahmen seiner Anhörung vor dem Ausgangsgericht LG hatte er eingeräumt, dass er mit einem Reifen etwa 30 cm auf den Bürgersteig gefahren wäre, um links auszuholen. Dies hatte auch eine Zeugin im Wesentlichen bestätigt.
  • Kein Pflichtverstoß der Klägerin: Einen Verstoß der Klägerin gegen § 10 StVO sah das OLG hingegen nicht. Zwar spricht dem Gericht zufolge grundsätzlich ein Anscheinsbeweis für eine schuldhafte Verletzung ihrer hohen Sorgfaltspflichten, wenn es beim Ausfahren aus einem Grundstück zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr kommt. Allerdings reiche diese Beweisvermutung nur so weit, wie der fließende Verkehr berechtigt ist. Im Falle einer Kollision auf einem Gehweg gilt diese Sorgfaltspflicht also nur für dort berechtigte Nutzer – also etwa für Fußgänger, Kinder mit Rollern oder Kleinfahrrädern. Die Lebenserfahrung rechtfertige jedenfalls nicht die Vermutung, dass der Ausfahrende seine hohen Sorgfaltspflichten verletzt, wenn zu einer Kollision mit einem Fahrzeug kommt, das dort nichts zu suchen hat. Im Ergebnis habe die Klägerin ihrer Sorgfaltspflicht entsprochen.
Die weiteren tragenden Gründe des OLG Düsseldorf – Urteil vom 09.02.2018 – AZ: 1 U 1/17 – lesen Sie demnächst in VRS Bd. 133/17 Seiten 303 ff.
 

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