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Verkehrsrecht 
26.04.2018

KG Berlin zum Augenblicksversagen bei Rotlichtverstoß im Straßenverkehr

ESV-Redaktion Recht
Nicht jeder Rotlichtverstoß führt automatisch zum Fahrverbot (Foto: Erwin Wodicka/Fotolia.com)
Qualifizierte Rotlichtverstöße führen regelmäßig zu Fahrverboten. Doch gilt dies auch, wenn ein Linksabbieger, der seine rote Ampel zunächst beachtet, dann aber mit dem Geradeausverkehr, der grünes Licht erhalten hat, mitschwimmt? Hierzu hat das Kammergericht in Berlin eine interessante Entscheidung getroffen.


In dem betreffenden Fall wollte der Betroffene an einer Kreuzung links abbiegen. Dabei hatte er zunächst die rote Ampel für seine Fahrspur beachtet und hielt dort länger als eine Sekunde. Nach Umschalten der Ampel für den Geradeausverkehr auf Grün fuhr auch der Betroffene los, obwohl die Ampel für ihn noch immer auf Rot zeigte. Bevor er die Kreuzung überfuhr, hatte er aber den entgegenkommenden Verkehr beachtet und passieren lassen.

Amtsgericht erteilt Fahrverbot

Das Amtsgericht (AG) sah hierin eine grobe Pflichtverletzung und hat den Betroffenen wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt.

Darüber hinaus hat das Gericht ein einmonatiges Fahrverbot nach § 25 Absatz 1 StVG angeordnet. Dem Richterspruch zufolge bestand kein Anlass, von dem Regelfahrverbot abzuweichen, das Nr. 132.3 BKat vorsieht. Hiergegen legte der Betroffene Rechtsbeschwerde ein und beschränkte diese auf die Verhängung des Fahrverbots.

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KG: Augenblicksversagen noch kein grober Pflichtverstoß

Die Bschwerde hatte Erfolg. Das Kammergericht (KG) in Berlin sah in dem Verhalten des Betroffenen keine grobe Pflichtverletzung, die die Anordnung eines Fahrverbotes gebietet. Danach ist das Verhalten des Betroffenen nicht auf Verantwortungslosigkeit oder grobe Nachlässigkeit zurückzuführen.

So setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Nr. 132.3 BKat dem KG zufolge nach § 4 Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV eine grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers voraus. Nur deswegen, so das KG weiter, kommt in derartigen Fällen regelmäßig die Anordnung eines Fahrverbots in Betracht. Der Grund hierfür liegt darin, dass sich bei einer Rotphase, die länger eine Sekunde dauert, in dem Bereich, der durch das Rotlicht geschützt ist, schon Querverkehr befinden kann. Die tragenden Überlegungen des Gerichts:

  • Gesamtwürdigung aller Umstände: Das Vorliegen eines Regelbeispiels entbindet den Tatrichter nicht davon, alle Umstände des konkreten Einzelfalls zu würdigen.
  • Atypischer Rotlichtverstoß: Hierzu gehört auch die Frage, ob der Tathergang so erheblich vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle abweicht, dass ein „atypischer“ Rotlichtverstoß vorliegt, der die Regelsanktion als unangemessen erscheinen lässt.
  • Verhalten nicht mit typischem Regelbeispiel vergleichbar: Dem KG zufolge hat die festgestellte Zuwiderhandlung nicht das Gewicht eines Regelverstoßes nach Nr. 132.3 BKat. So habe der Betroffene zunächst das Rotlicht für die von ihm befahrene Linksabbiegerspur beachtet. Zwar sei er mit dem Geradeausverkehr zunächst mitgeschwommen, allerdings hielt er erneut an und ließ wo er erneut und ließ den Gegenverkehr passieren, führt das KG hierzu aus.
  • Keine objektiv erhöhte Gefahrensituation: Dies,so die Berliner Richter weiter, begründe schon objektiv keine erhöhte Gefahrensituation. Im Hinblick auf die Grünphase für den Geradeausverkehr sei davon auszugehen, dass der Querverkehr für den Bereich, den der Betroffene befuhr, gesperrt war.
  • Kein verantwortungsloses Verhalten: Auch subjektiv sah das KG keine grobe Pflichtverletzung im Sinne von § 25 Absatz 1 Satz 1 StVG. Vielmehr habe sich der Betroffene aufgrund einer momentanen Unaufmerksamkeit von dem anfahrenden Geradeausverkehr mitziehen lassen. Dieses Augenblicksversagen beruht dem Richterspruch zufolge nicht auf Verantwortungslosigkeit oder grober Nachlässigkeit.

Fahrverbot aufgehoben

Das KG hat die Sache auch nicht an die Ausgangsinstanz zurückverwiesen, weil es davon ausging, dass eine neue Hauptverhandlung keine weiteren bedeutsamen Feststellungen erbringen würde. Vielmehr hat das Gericht von der Befugnis des §§ 79 Absatz 6 OWiG Gebrauch gemacht und den Ausspruch über das Fahrverbot aufgehoben.

Quelle: KG Berlin, Beschluss vom 17.01.2018 (3 Ws (B) 356/17)

Die vollständigen Entscheidungsgründe
Lesen Sie den vollständigen Beschluss des KG in Berlin vrsdigital.de oder in VRS Band 132 Heft 6/2017 auf Seite 303


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(ESV/bp)