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Umwelt-und Verkehrsrecht 
26.02.2019

Abgasskandal: Aktuelle Tendenzen in der Rechtsprechung

ESV-Redaktion Recht
Wendet sich das Blatt nun endgültig zu Gunsten der Dieselkäufer? (Foto: rcfotostock/Fotolia.com)
Die Gerichte sind sich im Diesel-Abgasskandal noch immer nicht einig. Im Gewährleistungsrecht scheint der BGH nun die Kunden zu erhören. Bei Klagen unmittelbar gegen VW – wegen arglistiger Täuschung – konnte der Konzern zwar vor dem OLG Braunschweig punkten, nicht jedoch vor dem OLG Köln.

BGH stärkt Kundenrechte im Abgasskandal

Nach der vorläufigen Rechtsauffassung des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofts (BGH) besteht für Käufer, die ein Dieselfahrzeug mit der sogenannten Schummelsoftware gekauft haben, die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die Zulassungsbehörde. Dies ergibt sich aus einem aktuellen Hinweisbeschluss des Bundesgerichtshofs (BGH). Die weiteren Überlegungen des Senats: 
  • Fahrzeuge mangelhaft: Aufgrund der Gefahr, die Betriebsuntersagung zu verlieren, wären betroffene Fahrzeuge nicht für die gewöhnliche Verwendung – Nutzung im Straßenverkehr – geeignet und daher mangelhaft.
  • Ersatzlieferung weiter möglich: Ferner meint der Senat vorläufig, dass die vom Käufer nach § 439 Absatz 1 Alt. 2 BGB geforderte Ersatzlieferung eines mangelfreien Neufahrzeugs nicht unmöglich sei. Dies hatte das Berufungsgericht – das OLG Bamberg – noch angenommen. 
Geklagt hatte ein Käufer gegen einen Händler. Die Parteien einigten sich aufgrund des Beschlusses auf einen Vergleich und der Kläger nahm seine Revision zurück. Der Senat hob deshalb den Verhandlungstemin auf, der für den 27.02.2019 vorgesehen war.

Quelle: PM des BGH vom 22.02.2019 zum BGH-Beschluss vom 16.10.2018 – AZ: VIII ZR 225/17

Auch wenn zahlreiche Medienberichte triumpfieren – nicht geäußert hat sich der BGH zu folgenden weiteren offenen Fragen:
  • Nachfrist: So setzt die Rückabwicklung der Kaufverträge neben einem Sachmangel voraus, dass der Käufer dem Verkäüfer eine angemessene Frist zu Nachbesserung setzt. Verfolgt man allein die Fälle vor dem Landgericht Braunschweig, fällt auf, dass zahlreiche Klagen gescheitert sind, weil die Käufer den Händlern gar keine Frist gesetzt hatten oder diese zu knapp bemessen waren. Ob vor diesem Hintergrund mit vielen Klagen zur Ersatzlieferung zu rechnen ist, bleibt ungewiss.
  • Pflichtverletzung: Eine weitere Voraussetzung ist die Erheblichkeit der Pflichtverletzung des Händlers. Auch hierzu hat sich der BGH gar nicht geäußert.
  • Klage gegen VW als Hersteller: Zahlreiche Kunden haben die VW-AG als Hersteller verklagt. Der Erfolg einer solchen Klage würde voraussetzen, dass VW den Kunden vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt hat. Eine solche Annahme ist nicht völlig ausgeschlossen, wie viele untergerichtliche Entscheidungen zeigen. Dennoch ist dies eine vollkommen andere rechtliche Problematik. Zudem hängen die Trauben bei dieser Anspruchsgrundlage sehr hoch, wie das Beispiel des OLG Braunschweig zeigt (siehe unten). In eingen Fällen wurde VW nicht mal als Fahrzeughersteller, sondern als Hersteller der Motoren verklagt, die in andere Fahrzeuge des Konzerns – wie zum Beispiel Audi oder Skoda – eingebaut waren. 
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OLG Braunschweig: VW hat Kunden nicht arglistig getäuscht

Nicht um Gewährleistung, sondern um Arglist von VW ging es vor dem Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig. Insoweit hat das OLG die Klage des Rechtsdienstleisters myRight unmittelbar gegen den Hersteller VW zurückgewiesen. MyRight hatte im Namen eines Kunden auf Schadensersatz bzw. Rückabwicklung des Kaufvertrages über einen Diesel-PKW mit einer unzulässigen Abschaltautomatik geklagt. Danach soll VW die Diesel-Kunden arglistig getäuscht haben. Die tragenden Erwägungen des OLG Braunschweig:
  • Umweltschutzvorgaben nicht verbraucherschützend: Das Gericht bewertet das Verhalten von VW ausdrücklich nicht als arglistige Täuschung der Kunden. Der Kunde habe ein Fahrzeug erhalten, das der amtlichen Typengenehmigung in vollem Umfange entspreche, das vollauf verkehrstauglich sei und deshalb die nach dem Kaufvertrag vorausgesetzte Beschaffenheit aufweise. Es würden keine Vorschriften verletzt, die den individuellen Schutz des Klägervermögens bezwecken. VW habe nur gegen Vorschriften verstoßen, die dem Umweltschutz dienen.
  • Übereinstimmungsbescheinigung keine Garantie von VW: Vor allem liegt dem Richterspruch zufolge keine Garantie von VW gegenüber den Kunden vor. Diese liege auch nicht in der Übereinstimmungsbescheinigung, mit der der Hersteller bestätigt, dass das konkrete ausgelieferte Fahrzeug dem genehmigten Typ entspricht. Eine solche Bestätigung sei keine Willenserklärung des Herstellers, dass er für die vereinbarte Beschaffenheit einstehen wolle.

OLG Köln: Sittenwidrige Schädigung des Käufers durch VW

Zuletzt hatte das OLG Köln die Rechtslage anders beurteilt. Die wesentlichen Überlegungen des Kölner Richterspruchs: 
  • Planmäßgie Verschleierung: Nach der Auffassung des Gerichts sei der Einbau einer manipulativen Motorsteuerungssoftware zur planmäßigen Verschleierung der wahren Abgasemissionen gegenüber Behörden und Verbrauchern eine sittenwidrige Schädigung des Käufers.
  • Wertverlust des Fahrzeugs: Infolge der heimlich eingesetzten Software entspreche der erworbene PKW auch nicht den Vorstellungen des Klägers. Die mit dem Einsatz der Software verbundenen Unsicherheiten für die Typengenehmigung und die Betriebszulassung seien eine nachteilige Auswirkung  auf den Vermögenswert des PKW. Auch ein Software-Update könne keine Erfüllung des Schadensersatzanspruchs darstellen.

Die unterschiedlichen Ansichten im Vergleich

OLG Braunschweig OLG Köln
  • Keine arglistige Täuschung
  • Kunde hat erhalten, was er gekauft hat
  • PKW entspricht amtlicher Typenge-nehmigung
  • Verstoß lediglich gegen Gesetze, die dem Umweltschutz dienen
  • Sittenwidrige Schädigung des Käufers
  • Vorstellungen des Käufers von der allgemein ordnungsgemäßen Ausrüstung des PKW entsprechen nicht dem erworbenen PKW
  • Unsicherheiten für die Typengenehmigung und die Betriebszulassung wirken nachteilig auf den Vermögenswert des PKW

Quellen: 
  • PM des OLG Braunschweig vom 19.02.2019 zum Urteil vom selben Tag – AZ: 7 U 134/17;
  • PM des OLG Köln vom 25.1.2019 zum Beschluss vom 03.01.2019 – AZ: 18 U 70/18
 

Update

10.10.2019
Kehrtwende des OLG Braunschweig? Ein Überblick zum Diesel-Abgasskandal
Hat VW die Käufer im Diesel-Abgasskandal vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt? Nachdem wohl die Mehrheit der Obergerichte dies seit geraumer Zeit annimmt, überlegt jetzt auch das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig – das diese Frage bisher verneint hatte – ob der Fahrzeughersteller die Käufer bewusst getäuscht hat. mehr …




 
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Weitere Verfahren

Sämtliche Entscheidungen sind auch für die Zukunft interessant:
  • Das aktuelle Musterfeststellungsverfahren des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen bzw. des ADAC, der sich etwa 400.000 VW-Kunden angeschlossen haben, entscheidet auch das OLG Braunschweig.
  • Die Braunschweiger Instanzen – das LG und OLG Braunschweig – müssen als zuständige Gerichte am Sitz des Autoherstellers einen Großteil der Klagen entscheiden, die sich unmittelbar gegen VW richten.
  • Der Rechtedienstleister myRight vertritt neben dem im Verfahren unterliegenden Kläger noch rund 35.000 VW-Kunden. Darauf, wie vor allem der BGH auch zu Klagen unmittelbar gegen VW entscheiden wird, darf man um so gespannter sein.  
(ESV/bp/ah)