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Mordprozess gegen Autoraser 
02.12.2019

LG Stuttgart: Fünf Jahre Jugendhaft nach tödlichem Unfall

ESV-Redaktion Recht
Schwere Verkehrsunfälle durch rücksichtsloses Rasen beschäftigen die Gerichte immer wieder (Foto: Deyan Georgiev / stock.adobe.com)
Kommen Menschen durch Autoraser ums Leben, kann der Fahrer prinzipiell wegen Mordes bestraft werden. Alternativ kommt auch eine Verurteilung wegen Teilnahme an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge in Betracht. Ein derartiger Fall hat vor kurzem das LG Stuttgart beschäftigt.

Geregelt ist die Alternative in § 315d StGB. Diese Norm erfasst nicht nur illegale Autorennen, worauf die Überschrift der Norm hindeutet. Ebenso steht das „Rasen“ unter Strafe. Darunter ist das grob rücksichtslose und verkehrswidrige Fahren mit Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr zu verstehen. Verursacht der Fahrer hierdurch gar den Tod eines anderen, kann Absatz 5 der Vorschrift greifen. Das höchste Strafmaß liegt dann bei 10 Jahren Freiheitsstrafe. Demgegenüber wird ein Mord prinzipiell mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet, die unter bestimmten Voraussetzungen auch gemindert werden kann.

Im Wortlaut: § 315d Verbotene Kraftfahrzeugrennen – Absätze 1 und 5
(1) Wer im Straßenverkehr
  1. ein nicht erlaubtes Kraftfahrzeugrennen ausrichtet oder durchführt,
  2. als Kraftfahrzeugführer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen teilnimmt oder
  3. sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 

(2) Wer in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 2 oder 3 Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. [ ... ]

(5) Verursacht der Täter in den Fällen des Absatzes 2 durch die Tat den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

Tötungsvorsatz als zentrale Frage

Die Kernfrage, welche Strafvorschriften in solchen Fällen anzuwenden sind lautet dabei:

Handelt jemand, der rücksichtslos rast, auch mit dem Vorsatz, andere zu töten?

Hierfür reicht es aus, wenn der Täter mit sogenanntem „bedingten Vorsatz“ handelt. Das heißt, bei seiner Handlung muss er den Tod anderer Menschen „billigend in Kauf“ genommen haben. Der Tod anderer ist zwar nicht sein Hauptziel. Der Täter muss aber erkennen, dass er durch sein Verhalten Menschenleben aufs Spiel setzt und trotzdem handeln. Mit anderen Worten: Trotz der erkannten Gefährdung hält der Täter seine eigenen Belange für wichtiger als das Leben seiner Mitmenschen.

Einige Gerichte haben in solchen Fällen einen Tötungsvorsatz abgenommen und die Raser wegen Mordes verurteilt. Allerdings stellen die Obergerichte und vor allem der Bundesgerichtshof (BGH) sehr hohe Anforderungen an die Annahme des Vorsatzes. So hatte der BGH 2018 eine Entscheidung des Landgerichts (LG) Berlin gekippt und dorthin zurückverwiesen. Dennoch kamen die Berliner Richter in dem anschließenden weiteren Verfahren erneut zu dem Ergebnis, dass die betreffenden Fahrer Tötungsvorsatz hatten.

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In dem Stuttgarter Fall mietete sich der Angeklagte einen Jaguar mit 550 PS. Anschließend verlor er in der Innenstadt bei hoher Geschwindigkeit nach einem Ausweichmanöver die Kontrolle über den Sportwagen und prallte auf einen kleinen Citroën. In dessen Trümmern kamen zwei junge Menschen ums Leben. Nach den Angaben eines Sachverständigen zeigte der Tacho vor dem Zusammenprall bis zu 165 km/h an. Zum Tatzeitpunkt war der Angeklagte 20 Jahre alt. Ein Zeuge, der als Beifahrer mitfuhr, wollte aus der rasanten Fahrt ein Video für Instagramm aufbereiten. Kurz vor dem Aufprall will er den Angeklagten aber vor der zu hohen Geschwindigkeit gewarnt haben. 

Ein Experte des Landeskriminalamts hatte folgendes festgestellt: Fünf Sekunden vor dem Aufprall drückte der Unfallfahrer noch einmal richtig aufs Gas. Zwei Sekunden vor dem Crash nahm er das Gas weg und stieß mit 114 km/h in den Kleinwagen des jungen Paares.

Staatanwaltschaft plädiert auf Mord  

Die Staatsanwaltschaft ging vom Tötungsvorsatz des Angeklagten aus und beantragte eine Verurteilung von sechs Jahren Haft wegen Mordes.

Verteidigung: Kein Tötungsvorsatz

Die Verteidigung meinte, dass ihr Mandant auch den Unfall nur fahrlässig verursacht hatte. Sie beantragte eine Jugendstrafe von lediglich zwei Jahren.

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LG Stuttgart: Angeklagter verursachte den Tod des jungen Paares fahrlässig   

Zuständig für den Fall war die 4. Große Strafkammer – Jugendkammer – des Landgerichts (LG) Stuttgart. Das Urteil: Fünf Jahre Jugendhaft wegen Teilnahme an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen und vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung. Die Jugendkammer nahm also an, dass der Angeklagte die Unfallgefahr vorsätzlich herbeigeführt hat. Dennoch war die Kammer nicht davon überzeugt, dass der Angeklagte auch konkret den Tod der beiden jungen Unfallopfer vor Augen hatte. Insoweit habe der Täter also nur fahrlässig gehandelt, so die Kammer. Die weiteren tragenden Überlegungen des Gerichts:  
  • Zwar riskanter Fahrstil: Zwar habe der Angeklagte einen „riskanten und rücksichtslosen Fahrstil“ an den Tag gelegt. Dieses Verhalten sah das Gericht auch als „hirnlose Raserei“ an.
  • Aber - Vertrauen in das eigene „Können“: Dennoch habe der junge Mann auf seinen Fahrstil und sein „Können“ vertraut. Daher sei er davon überzeugt gewesen, dass alles gut gehen werde. Der Fahrer „wollte niemandem schaden“, so die vorsitzende Richterin.
  • Bisher keine Auffälligkeiten: Zudem fiel der Angeklagte vorher nicht wegen Verkehrsgefährdungen auf.
  • Im Zweifel für den Angeklagten: Daher nahm die Jugendkammer nach dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ in Bezug auf die Todesfolge des jungen Paares nur ein fahrlässiges Verhalten an
  • Anwendung von Jugendstrafrecht: Sachverständige attestierten dem Fahrer darüber hinaus erhebliche Reifeverzögerungen. Die Kammer wendete daher Jugendstrafrecht an.
Nach alledem wollte das Stuttarter Gericht nicht erkennen können, dass der Fahrer ein Mörder sein sollte.  

Das LG hatte an 16 Verhandlungstagen knapp 100 Zeugen, Sachverständige und sachverständige Zeugen vernommen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Quelle: PM des LG Stuttgart vom 15.11.2019 zum Urteil vom selben Tag – 4 Kls 60 Js 24715/19 jug.

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